In seinem aktuellen Beitrag analysiert Dr. Wolfgang Merz, welche Faktoren das Erstarken der extremen Rechten in Deutschland und international begünstigen und welche politischen Antworten möglich sind.

Dr. Wolfgang Merz   

Spätestens die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen im letzten Herbst mit klaren Erfolgen für die AfD haben in Deutschland eine Debatte darüber entfacht, wie man damit umgehen soll bzw. welche politischen Konsequenzen zu ziehen sind.

Diese Debatte blendet aus, dass man schon seit Jahren in vielen europäischen Ländern, aber auch global (etwa in den USA, Brasilien und Argentinien) über den Umgang mit extremen Parteien und Politikern streitet. Aus diesen Erfahrungen gilt es, mögliche Schlussfolgerungen für uns abzuleiten

Zur Begrifflichkeit und Entstehung: Extrem rechts ist nicht rechts per se, es ist nationalistisch, anti-europäisch, anti-empirisch (Verschwörungstheorien), antisemitisch, gegen die Globalisierung, gegen Eliten und z.T. auch anti-demokratisch. Terminologisch werden Dinge verdreht und man erzeugt stets ein „Wir-Gefühl“ (wir sind die wahren Demokraten; Ukraine-„Konflikt“).

Der extrem rechte Anteil ist nicht hoch, aber viele frustrierte Wähler oder früherer Nichtwähler gesellen sich einfach dazu, auch wenn sie die extremen Inhalte nicht voll teilen dürften. Was nicht ganz zutrifft ist der Terminus „populistisch“, weil mittlerweile auch die etablierten Parteien es der Bevölkerung einfach nur immer mehr recht machen wollen.

Auch wenn nationale Unterschiede bestehen, ist die extreme Rechte zunehmend auch über Social Media transnational vernetzt. Über die Globalisierungskritik und eine gewisse Russlandfreundlichkeit hat die extreme Rechte auch Verzahnungen mit der extremen Linken, was man in Deutschland beim Bündnis Sahra Wagenknecht gut beobachten kann.

Wie haben sich die deutsche Politik und die Gesellschaft bisher dieser Herausforderung gestellt?

Jenseits der Zuschreibung des Rechtsextremen haben sich die Kritiker wenig mit weiteren Inhalten auseinandergesetzt.

Man hat versucht, Parteimitgliedern nicht auf Posten etwa im Parlament wählen zu lassen. Dazu gehört auch das Ausladen aus Veranstaltungen.

Der Verfassungsschutz ist aktiv und beobachtet den extremen rechten Rand.

Man erwägt ein Parteiverbot und hat die Zeitschrift Compact vorübergehend verboten.

Man baut eine Brandmauer auf, die keinerlei Kooperation zur Folge hat.

Sehr gut besuchte Demos gegen „rechts“, die versucht haben, eine breite Mehrheit stärker zu sensibilisieren.

Das bisherige deutsche Agieren war sicher gut gemeint, bisher aber wenig erfolgreich. Wir brauchen daher andere Strategien, der Blick in andere Länder kann hier helfen:

In Italien ist Meloni, als eine als extrem rechts eingestufte Politikerin, an der Macht. Sie ist bisher politisch eher pragmatisch aufgetreten. Unklar bleibt, ob sie nur als Wolf im Schafspelz agiert

In Frankreich könnte Marie Le Pen spätestens 2027 die Macht übernehmen, Macron hat mit seinem umstrittenen Schachzug einer Neuwahl dies erstmal verschoben und dafür gesorgt, dass die Parteien im Mitte-Links-Spektrum miteinander reden. Im Übrigen hat Le Pen mit ihrer Absage an die AfD dieser Partei in Europa mehr geschadet als es die deutsche Politik bisher vermocht hat.

In Finnland hat vor geraumer Zeit die Einbindung der rechten „Wahren Finnen“ in die Regierung diese Partei zur Spaltung gebracht

In den Niederlanden ist der sehr rechte Wilders auch an der Macht, hat aber trotz Mehrheit das Zepter nicht in der Hand.

In Österreich hat der ganz rechte Kickl die Macht fast in den Händen, allerdings versucht die demokratische Mitte erneut, sich zusammen zu finden.

In Ungarn zeigt Orban, dass langjährige Macht eines sehr Rechten vormals offene Prozesse zementieren kann, wenn es gelingt, demokratische Strukturen, die Justiz und die Presse zu unterminieren.

In der Slowakei bedient Fico das übliche Muster (auch wenn er eher „links-populistisch“ agiert) und sitzt fest im Sattel. Er ist für Russland, gegen den Islam, verfolgt eine harte Migrations- und eine nationale Wirtschaftspolitik und schränkt die Pressefreiheit ein.

In Polen hat Tusk mit einem inhaltsstarken Wahlkampf bewiesen, wie man die bisherige PIS-Regierung bezwingen kann. Er wird allerdings im Handeln durch einen PIS-Präsidenten und eine immer noch starke PIS-Opposition blockiert.

In den USA: Die erneute Wahl von Trump zum Präsidenten hat den extremen Rechten weltweit einen neuen fulminanten Impuls gesetzt, da das weiterhin politisch und ökonomisch mächtigste Land der Welt dieser revitalisierten politischen Strömung folgt. Trump regiert allerdings mit einer solch hohen Taktzahl, dass abzuwarten bleibt, ob es nicht doch auch US-internen Gegenwind geben wird. (Beispiele: mögliche Konflikte zu den Geschäftsinteressen von Elon Musk und zu russlandskeptischen Strömungen in der amerikanischen Gesellschaft, falls Trump weiterhin Russland zu nahe kommt)

Welche Lehren sind aus der internationalen Perspektive zu ziehen?

Man sollte die inhaltliche Auseinandersetzung aktiv suchen. Manche sehr Rechte sind an der Macht mit einer anhaltend starken Stellung, manche werden moderater. Kooperationen können zur Spaltung der jeweils rechten Partei führen. Auf dem Land sind die Kräfte stärker ausgeprägt als in der Stadt. Der politische Islam ist mit unterschiedlicher Ausprägung ein Faktor (am ausgeprägtesten in Frankreich).

Was könnten wir daraus für Deutschland ableiten?

Themen nicht tabuisieren und angehen und mit klaren Argumenten belegen, dass die anderen Kräfte oft gar keine Alternativen darstellen. Der angestiegene Zuspruch zur Linkspartei bei der jüngsten Bundestagswahl ist auch dadurch erklärbar, dass sich Parteimitglieder direkt mit einzelnen Wählern auseinander gesetzt haben. Generell gilt auch, dass sich die „demokratische Mitte“ in den sozialen Medien besser aufstellen sollte. Zu den Themen im Einzelnen:

Thema Migrationspolitik: Unabhängig vom Schutz der Außengrenzen und der Möglichkeit einer Abschiebung liegt schon in der rein nationalen Umsetzung vieles im Argen. Die geregelte Aufnahme einer hohen Zahl an Flüchtlingen überfordert ein öffentliches System, welches zu wenig Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt hat (oft Verlassen auf Ehrenamtliche) oder sich in zu bürokratischen Strukturen verheddert. Wenn man Flüchtlinge ins Land lässt, müsste man sich mehr um sie kümmern, sie sollten arbeiten dürften, rasch die Sprache lernen (Englisch würde reichen) und die Schulen brauchen Unterstützung bei der Integration von Flüchtlingskindern. Auch müsste der Bund/Länder-Wirrwarr zugunsten des Bundes aufgelöst werden.

Thema Europa: Hier sollten gegen eine EU/Euro-Ablehnung die klaren Vorteile der EU für Deutschland klar gemacht werden. Leider hat die politische Mitte in Deutschland Europa bisher eher skeptisch verkauft, wie mit einer Nettozahlerdebatte, Brüsselbashing oder dem Vorwurf einer in Brüssel beheimateten Bürokratie, der wir übrigens zuvor auch zugestimmt haben.

Thema wirtschaftliche Zukunft: Die Verunsicherung ist groß (drohende Jobverluste; hohe Mieten), da das deutsche Wachstum stockt und der Standort unter Druck gerät. Auch bleibt unklar, wie die ökologische Transformation vorangehen soll. Hier ist ein klarer wirtschaftspolitischer Plan nötig, der nicht nur auf öffentliche Mittel setzt, sondern auch den Privatsektor einbindet.

Horizontale Themen: Stadt-Land-Gefälle: Dieses wichtige Thema sollte mit Instrumenten der Regionalpolitik angegangen werden, um der Bevölkerung nicht das Gefühl zu vermitteln, abgehängt zu sein.

Deutschlandspezifisch sind die Befindlichkeiten im Osten. Die dortigen Wähler sind weitaus stärker irritiert als bisher angenommen (u.a. sind die Erfahrungen mit zwei autoritären Systemen hintereinander nicht überwunden) Ein Dialog Ost/West auf neuer Basis ist nötig. Eine Ostwählerbeschimpfung wirkt eher kontraproduktiv.

Der politische Islam ist auch bei uns aktiv. Man sollte anerkennen, dass es nicht nur einen rechtsextremen, sondern einen islamistischen Terror gibt. Messerverbote sind allerdings eine reine Symbolik

Brandmauerdebatte

Die Einbindung der AfD in politische Verantwortung wäre riskant, da die Partei rechter ist als die europäischen Gleichgesinnten und Deutschland eben auch eine schreckliche Geschichte vorzuweisen hat. Sollte der Trend jedoch anhalten, sind Einbindungen rein arithmetisch künftig kaum zu vermeiden Allerdings sind historische Vergleiche wie das Szenario der raschen NSDAP Ausbreitung nach der Machtergreifung in 1933 nicht tragfähig, auch weil wir seit Jahrzehnten eine stabile Demokratie haben.

Ideal wäre auch, wenn die neue Bundesregierung besser funktioniert als ihr Vorgängerin. Eine mögliche und rasch gebildete große Koalition wird in Deutschland und auch in Europa als letzte Chance gesehen, um die Gestaltungsmacht der „demokratischen Mitte“ erhalten zu können. Anderenfalls würde sich die in der Bundestagswahl bestätigte politische Erschütterung der Mitte auch fortsetzen.

Europäisch und auch international bekommt diese Brandmauer aber erkennbare Risse:

Im Europaparlament war die Ernennung von neuen Kommissaren nur mit Stimmen der extremen Rechten möglich. Deutschland kommt auch nicht umhin, mit extrem rechten Spitzenvertretern aus anderen europäischen Ländern bei Treffen zu kooperieren, wie etwa mit Frau Meloni in Italien oder Herrn Orban in Ungarn. Am Gravierendsten ist allerdings die „Kooperation“ mit den USA. Man kann hier im Gegensatz zu bisherigen Gepflogenheiten mit vergleichbaren politischen Strömungen in Europa Gespräche und Verhandlungen gar nicht vermeiden, da sich etwa bei den Themen Ukraine-Krieg, Finanzierung der europäischen Verteidigung und in der Handelspolitik große Konflikte zwischen den USA und Europa ergeben. Dabei gilt es natürlich auch, dass Europa sich koordiniert stärker aufstellt und Deutschland sich endlich einer stärkeren europapolitischen Rolle besinnt.

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Der Autor Dr. Wolfgang Merz ist Berater, Dozent und Autor mit umfassender Erfahrung in nationalen, europäischen und internationalen Prozessen. Als ehemaliger leitender Mitarbeiter im Bundesministerium der Finanzen und Economist beim Internationalen Währungsfonds bietet er strategische Beratung, praxisnahe Bildung und fundierte Publikationen an. Sein Fokus liegt auf der Verbindung von Ökonomie und Politik, um Organisationen und Individuen in einer vernetzten Welt zu unterstützen.

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